Hoffnung auf Frieden für Mali?

HSU

1. August 2018

Junge Frau mit schulterlangen Haaren steht auf einer Brücke über einem Fluss, im Hintergrund unscharf weiße Häuser und grüne Bäume
Sonja Nietz in Hamburg.

Sonja Nietz, M. A., Wissenschaftliche  Mitarbeiterin an der Professur für Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen, sprach während einer Forschungsreise mit Vertretern von Konfliktparteien im westafrikanischen Mali.

Auch drei Jahre nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Rebellengruppen und der Regierung ist eine tragfähige Friedensordnung im westafrikanischen Mali nicht in Sicht. In der Hauptstadt Bamako traf die Politikwissenschaftlerin Sonja Nietz Vertreter von Konfliktparteien, um mit ihnen Ansätze für eine nationale Versöhnung zu beraten.

Mali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Mehrere Putschversuche und Revolten in den vergangenen Jahrzehnten haben das Land geschwächt. Lokale, regionale wie internationale Akteure suchen nach Wegen aus der Krise. Dennoch spitzt sich die Lage weiter zu. Die 11.000 UN-Blauhelme im Land geraten zunehmend ins Visier islamistischer Terroristen. Anschläge, aber auch gewaltsame Übergriffe rivalisierender Banden gehören mittlerweile zur Tagesordnung. In dieser Zeit reiste Sonja Nietz nach Mali, um Möglichkeiten für einen neuen Friedensweg zu diskutieren.

Bestellte Felder mit grünen Pflanzen auf brauner Erde, im Hintergrund fließt ein Fluss, blasser Himmel am Horizont.
Fruchtbares Land entlang des Niger-Flusses. (Foto: Sonja Nietz)

„Bei Fahrten in die nördlichen Regionen Timbuktu, Gao oder Kidal kann heute niemand mehr für die Sicherheit ausländischerer Besucher garantieren. Auch in der südlicher gelegenen Hauptstadt Bamako stehen an jeder Straßenkreuzung schwerbewaffnete Soldaten“, sagt Sonja Nietz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen. „Aus Angst vor terroristischen Angriffen gilt überall im Land eine erhöhte Sicherheitsstufe. Sobald ich meine Unterkunft in der Hauptstadt betreten wollte, musste ich zwei bewachte Sicherheitsschleusen passieren.“

Junge, weiße Frau zwischen vier dunkelhäutigen Männern in langen Gewändern stehen im Schatten eines Baumes.
Sonja Nietz mit Tuareg von TEMEDT, einer malischen Menschenrechtsorganisation. (Foto: privat)

Die Doktorandin reiste im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung für zwei Wochen in das westafrikanische Land, um zu untersuchen, inwieweit traditionelle zivile Konfliktlösungsmechanismen zu einer nationalen Versöhnung beitragen können. „Die öffentliche Mediation zwischen zerstrittenen Parteien hat in Mali eine lange Tradition. Sie geht auf die vorkoloniale Zeit zurück und hat sich auch auf Friedensverhandlungen in der jüngeren Vergangenheit positiv ausgewirkt“, sagt Sonja Nietz. Für den Report „Traditional Conflict Resolution – A way out of crisis in Mali?” diskutierte sie mit Vertretern dortiger Konfliktparteien, mit Friedensforschern von Universitäten und Nichtregierungsorganisationen Erfolgsaussichten einer erneuten öffentlichen Mediation. Der Report erscheint im September 2018.

Menschen mit dunkler Haut in exotischen Gewändern gehen über eine Brücke, im Hintergrund Gebäude
Auf dem Weg zum Unabhängigkeitsdenkmal in Bamako (Foto: Sonja Nietz)

„Mali ist ein hierarchisch geprägtes Land, indem unter anderem Familienoberhäupter und religiöse Führer das Sagen haben. Sie regeln, was die Menschen dem korrupten Staatsapparat nicht zutrauen oder wozu dieser nicht in der Lage ist. Ich empfand es als überaus spannend, in diese gesellschaftlichen Beziehungsnetzwerke vor Ort einzusteigen.“

Kontakte knüpfte die Politikwissenschaftlerin über Universitätsprofessoren in Bamako oder über Nichtregierungsorganisationen, die ihr weitere Ansprechpartner vermittelten. „In Mali verabredet man sich nicht per Messenger oder Mail, sondern ausschließlich telefonisch.“ Straßennamen oder -bezeichnungen gibt es kaum. „Ich habe mich intensiv auf die Kultur vorbereitet und mich auf sie eingelassen, um den Menschen möglichst nahe zu kommen.“ Angemessene Kleidung, ein paar Worte in der Landessprache Bamanankan sowie kleine Geschenke in Form von Kolanüssen, etwas Tee oder Zucker öffneten zahlreiche Türen. „Besonders lange und intensive Gespräche habe ich mit den sechs Kommunen Chiefs von Bamako und Tuareg-Bewegungen geführt. Es war eine große Ehre.“

Junge europäische Frau mit blauem Kopftuch, umgeben von dunkelhäutigen Menschen mit exotischer Kleidung, achtunggebietender Mimik und würdevoller Pose.
Gespräch mit einem Familienoberhaupt und Mitgliedern (Foto: privat)

Eines der größten Probleme im Land ist die Arbeits- und Perspektivlosigkeit, die vor allem im Norden des Landes, unterstützt durch das Bevölkerungswachstum sowie den Klimawandel, zunehmend junge Leute in die Arme einfallender Islamisten treiben. Auch im Süden haben die politischen Eliten um den 2013 demokratisch gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, aber auch die Justiz durch zahllose Korruptionsskandale Vertrauen und Legitimation verloren. „Es herrscht eine riesige Frustration“, resümiert Sonja Nietz, von der ihre Gesprächspartner überraschend offen und ausführlich berichteten.

Erschwerend hinzu kommt: „In Mali leben viele verschiedene Ethnien wie die Bambara, die Songhay, die Moor und die Tuareg-Nomaden.“ Die Menschen im 19 Millionen Einwohner-Staat sprechen über 30 verschiedene Sprachen. „Auf den Märkten verständigt man sich vor allem in Bamanankan. Regierungssprache aber ist Französisch. Diese Sprache beherrscht nicht einmal zwölf Prozent der Bevölkerung.“ Es ist die Sprache der früheren Kolonialmacht. „Dies zeigt einmal mehr den Bruch zwischen Eliten und weiten Teilen der Gesellschaft.“

Dunkelhäutige Menschen tragen Dinge vor einer fremd anmutenden Marktplatzkulisse hin und her.
Buntes Treiben auf einem Markt. (Foto: Sonja Nietz)

„Die multidimensionale Krise in Mali lässt sich nur aufarbeiten, wenn die politische Elite, zivilgesellschaftliche und internationale Akteure zusammen agieren“, schließt die Politikwissenschaftlerin. Eine rein militärische Lösung könne keinen anhaltenden Frieden garantieren. „Parallel müssen die sozio-ökonomische Entwicklung und die gesellschaftlichen Dialogprozesse verstärkt gefördert werden. Hier können traditionelle Autoritäten den Ausschlag geben. Schlichtungsprozesse nach traditionellen Regeln, bei denen auf lokaler und zwischen lokaler und nationaler Ebene nach Lösungen gesucht wird, die für alle Seiten gesichtswahrend sind, können die Wiederherstellung von Harmonie in der Gemeinschaft ermöglichen.“

(Text: Susanne Hansen)