DSF-Projekt „‚Screening‘ Transitional Justice in Serbia“

HSU

29. Juli 2021

„Screening“ Transitional Justice in Serbia. ICTY Representations and the Memory of War Crimes in Serb Television“

Vollständiger DSF Reasearch Report hier verfügbar

Förderer: Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF)

Projektleiterin: Prof. Dr. Anna Geis, Institut für Internationale Politik, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Projektbearbeiterin: Dr. Katarina Ristić, in Kooperation mit Dr. Vladmir Petrović (Institute for Contemporary History in Belgrade)

Förderzeitraum: 13 Monate (Februar 2015 bis März 2016)

Fördersumme: 93 Tsd. Euro

Zusammenfassung

Problemstellung und forschungsleitende Fragen

Der 1993 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia; ICTY) ist ein ebenso zentrales wie umstrittenes Element in den Transitional-Justice-Prozessen der betroffenen Staaten. Insbesondere in Serbien wird die Legitimität des Strafgerichtshofs erheblich in Frage gestellt.  Das Projekt untersucht die öffentliche Darstellung des ICTY in serbischen TV-Nachrichten und -Berichterstattung. Anhand von viel diskutierten Strafprozessen werden u.a. folgende Aspekte beleuchtet: Wie werden die unterschiedlichen, im Strafgerichtshof agierenden Personen in der Berichterstattung dargestellt? Werden Angeklagte als Akteure beschrieben, die im Namen ihrer Nation gehandelt haben oder als individuelle Täter, die außerhalb der jeweiligen Gemeinschaft stehen? Inwiefern stellen die Medienformate den ICTY als eine illegitime Institution dar oder als verlässliche, glaubwürdige Quelle juristischer Beweisführung und historischer „Wahrheiten“?

Relevanz für die Friedens- und Konfliktforschung sowie Originalität des Vorhabens

Es ist eine wichtige Aufgabe von Friedens- und Konfliktforschung, die Auswirkungen und die in den „Zielgesellschaften“ wahrgenommene Legitimität von Transitional-Justice-Mechanismen zu untersuchen. Medieninhalte, die den ICTY als eine illegitime oder anti-serbische Institution darstellen, unterminieren die Autorität und die Fähigkeit des Tribunals, die Aufarbeitung der Vergangenheit voranzutreiben und historische „Wahrheiten” über die Kriege der 1990er Jahre zu etablieren. Bislang liegt keine systematische Forschung über die Rezeption des Tribunals in audio-visuellen Medienformaten in Ex-Jugoslawien vor. Generell wird visuelles Material in der Friedens- und Konfliktforschung sehr selten analysiert. Dies ist schwer nachzuvollziehen angesichts der prominenten Debatte über die „Macht der Bilder” in einem digitalen Zeitalter.

Theoretisch-methodische Grundlegung des Projekts

Das Projekt verortet sich in der Transitional Justice-Forschung. Die akademischen Debatten über den ICTY beziehen sich häufig auf die Wirkungen des Tribunals und wie man diese konzeptualisieren kann. Für das vorliegende Projekt ist vor allem die öffentliche ‘aufklärende’ Rolle des Tribunals von Interesse, da der Gerichtshof die betroffenen Gesellschaften zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anregen soll. Die theoretische Rahmung knüpft daher auch an Studien an, die sich mit der diskursiven Konstruktion kollektiver Erinnerung an Gewaltereignisse befassen.

Das Forschungsteam wendet Ansätze der multimodalen Diskursanalyse an, um das textbasierte und audio-visuelle Material zu untersuchen. Da solche Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung wenig etabliert sind, ist eine angemessene Methodik für den Fall des Tribunals und der diskursiven Konstruktion seiner (Il-)Legitimität im Laufe des Projekts weiter zu entwickeln. Analysiert werden Nachrichten und weitere Berichterstattung über Strafprozesse des ICTY in den drei meist gesehenen serbischen TV-Stationen Radio-Televizija Serbia (RTS), RTV Pink und B92.

Geplante Umsetzungsschritte

Das Datenmaterial ist sehr umfangreich, sodass der erste Schritt der Untersuchung in der Sammlung, Auswahl und Reduzierung des Materials liegt. Die Daten werden erfasst und transkribiert, um schließlich eine computergestützte Diskursanalyse durchzuführen. Eine detailliertere qualitative Analyse ausgewählter audio-visueller Materialien und ein Vergleich von Daten folgt diesen Schritten. Zur Ergänzung und Validierung der Ergebnisse der Diskursanalyse werden semi-strukturierte Experteninterviews mit Vertretern des ICTY, der serbischen Medien und zivilgesellschaftlicher Organisationen durchgeführt. Fokusgruppeninterviews mit Studierenden in Serbien sollen schließlich probeweise Aufschluss geben über die subjektiven Wahrnehmungen von Medienkonsumenten.

Erwartete Ergebnisse und Praxisrelevanz

Das Projekt soll insgesamt

  • die wahrgenommene Legitimität des ICTY in ausgewählten serbischen Massenmedien beurteilen;
  • diskursive (fortbestehende oder sich wandelnde) Muster der Repräsentation der Vergangenheit in serbischen Medien untersuchen;
  • die Analyse visueller Medien in der Friedens- und Konfliktforschung befördern;
  • Kooperationsbeziehungen mit Menschenrechtsaktivisten und Journalisten in Serbien etablieren und durch die Forschungsergebnisse zur Unterstützung der Aktivisten im Feld beitragen.


Liste projektbezogener Publikationen

Anna Geis/Katarina Ristić 2020: Umstrittene Legitimität. Das Internationale Straftribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) als „Stimme der Menschheit“ und als „politisches Gericht“, in: Gabi Schlag/Axel Heck (Hg.): Visualität und Weltpolitik. Praktiken des Zeigens und Sehens in den Internationalen Beziehungen, Wiesbaden: Springer VS, S. 89-120.

Katarina Ristić 2019: Accused War Criminals qua Perpetrators: Visual Signification of Criminal Guilt, in: Journal of Perpetrator Research, 2:2, 156-179.

Vladimir Petrović: The ICTY Library: War Criminals as Authors, Their Works as Sources, International Criminal Justice Review, 28:4, 2018, 333–348.

Vladimir Petrović: Power(lessness) of Atrocity Images: Bijeljina Photos between Perpetration and Prosecution of War Crimes in the Former Yugoslavia, International Journal of Transitional Justice, 9:3, 2015, 367–385.

Katarina Ristić: Re-Enacting the Past in TV News on War Crime Trials: A Method for Analysis of Visual Narratives in Archival Footage, Media, War & Conflict, 2019, 1-20 (online first).

Katarina Ristić: Freed by the Court: The Role of Images Between Remembrance and Oblivion of War Crimes, Pólemos, 13:1, 2019, 91-108.

Katarina Ristić: The Media Negotiations of War Criminals and Their Memoirs: The Emergence of the “ICTY Celebrity”’, International Criminal Justice Review, 28:4, 2018, 391–405.

Katarina Ristić/Anna Geis/Vladimir Petrović: Caught between The Hague and Brussels: Millennials in Serbia on ICTY War Crimes Trials, in: Zeitgeschichte, 44:14, 2017, 49–65.

Katarina Ristić: Our Court, Our Justice – Domestic War Crime Trials in Serbia, in: Heike Karge, Ulf Brunnbauer, Claudia Weber (eds.): Erfahrungs- und Handlungsräume.  Gesellschaftlicher Wandel in Südosteuropa seit dem 19. Jahrhundert zwischen dem Lokalen und dem Globalen, Oldenburg: De Gruyter, 2017, 165-185.

Konferenzpapiere und Vorträge

Vladimir Petrović, “ICTY and the Balkans”, presented at the Association for Studies of Nationalism (ASN) Annual Convention, organized at Columbia University in April 2015.

Vladimir Petrović, “Powerlessness of Atrocity Images”, presented at the Digital Testimonies on War and Trauma, organized by Erasmus University Rotterdam in June 2015.

Katarina Ristić and Anna Geis, “Generation Y’s perception of ICTY trials in Serb media”, presented at the workshop “Generation On The Move – Children Of The 1990s in Bosnia-Herzegovina, Croatia, Kosovo and Serbia”, in Rijeka, 9-10 October 2015.

Katarina Ristić, “Trials Stories vs. Media Stories in the Balkans”, presented at the Annual Convention of the Association for Slavic, East European and Eurasian Studies, Philadelphia, 19-22 November 2015.

Anna Geis, “Können internationale Strafgerichtshöfe zur Versöhnung beitragen? Das Beispiel des Strafgerichtshofs zu Ex-Jugoslawien“, presented at the Colloquium of the Department of Political Science, University of Leipzig, 5 January 2016.

Vladimir Petrović, “Balkan Rashomon: The Yugoslav Conflict in International and National Prosecution”, presented at the colloquium “Mass Violence and Human Rights: The Global Politics of Truth and Justice” at the University of Massachusetts, Armherst, 5 February 2016.

Katarina Ristić, “War Crime Trials and Nationalism in the Balkans”, presented at the conference “Prime Time Nationalism: The Role of Television Broadcast/Archives in the Aftermath of the Yugoslav Wars”, Open Society Archives, Budapest, 13-14 May 2016.

Katarina Ristić, “Alleged War Criminals in TV – Visuals and Emotions”, presented at the conference „Representing Perpetrators of Mass Violence“, Utrecht, 31 August – 3 September 2016.

Katarina Ristić, “Legal ambiguity: Perpetrators in national and international war crime trials”, presented at the conference “On Collective Violence. Actions, Roles, Perceptions“, Centre for Conflict Studies of the Philipps University Marburg, 20-22 October 2016.

Vladimir Petrović, “Hubris of Themis: ICTY and the Balkans two decades after”, presented at the Central European University, Budapest, November 2016.

Katarina Ristić, “Narrating the self in (post-)ICTY diary writing – between nationalism, Yugoslavism and war crimes” and Vladimir Petrović “ICTY Library: War Criminals as Authors, their Writings as Sources”, both papers presented at the Sixth Annual Conference of the Historical Dialogues, Justice and Memory Network in Amsterdam (NIOD Institute for War, Holocaust, and Genocide Studies, 1-3 December 2016).

Anna Geis/Katarina Ristić, “Können internationale Strafgerichtshöfe zur Versöhnung beitragen? Das Beispiel des Strafgerichtshofs zu Ex-Jugoslawien“, presented at the Colloquium of the Institute for Theology and Peace (ITHF), Hamburg, 27 April 2017.

Katarina Ristić, „Introduction to Multimodality – Social Semiotics. Copernican Turn in Semiotics under the Global Condition, presentet at the Workshop of the DFG Network „Visuality and Global Politics“, University of Kiel, 17-19 Mai 2017.

Katarina Ristić “Re-enacting the Past in the News  – A Method for Analysing Archive Footage on Television”, presented at the 11th Pan-European Conference on International Relations, EISA, Barcelona, 12-15 September 2017.

Anna Geis “Der ICTY ein illegitimes Tribunal? Die Aufarbeitung der Vergangenheit in Serbien aus Sicht der jungen Generation“, presented at the Fifth Open Section Conference of the Section ”International Relations” of the German Political Science Association (DVPW), University of Bremen, 4-6 October 2017.

Vladimir Petrović, “Dual Nature of Wartime Visuals”, presented at Salem State University Center for Holocaust and Genocide Studies conference held in October 2017.