Bundeswehr im 21. Jahrhundert – abgeschlossene Forschungsprojekte

 

ZUSAMMENFASSUNG

Der Entwicklungsprozess der Bundeswehr zu Beginn des 21. Jahrhunderts (Dr. Henrik Heidenkamp)

Wandel im Spannungsfeld globaler, nationaler und bündnispolitischer Bestimmungsfaktoren

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts durchläuft die Bundeswehr einen tiefgreifenden, fortlaufenden Entwicklungsprozess, der sich in einem komplexen und vielschichtigen Bezugsrahmen vollzieht, dessen Elemente auf alle Ebenen des Prozesses einwirken. Diese Bestimmungsfaktoren unterliegen einem kontinuierlichen Veränderungsprozess, sodass der Entwicklungsprozess der Bundeswehr keinen linearen Verlauf nimmt. Stattdessen passt er sich an die Ausprägung der Bestimmungsfaktoren an, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: (1) globale, (2) nationale und (3) bündnispolitische Bestimmungsfaktoren. Die Studie geht der Frage nach, wie die globalen, nationalen und bündnispolitischen Bestimmungsfaktoren auf den Entwicklungsprozess der Bundeswehr – die Bedeutung und Rolle der Bundeswehr als Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, die konzeptionellen Grundlagen, die operativen Prinzipien, die Organisationsstruktur sowie die Material- und Ausrüstungslage der Bundeswehr – einwirken. Die Studie verfolgt einen qualitativ-empirischen Forschungsansatz. Entsprechend der Kontextabhängigkeit des Wandels von Streitkräften wie der Bundeswehr, stehen der Bezugsrahmen des Entwicklungsprozesses, seine Bestandteile und deren Wirkung auf den Entwicklungsprozess im Fokus der mehrstufigen, induktiven Analyse.

Die zentralen Ergebnisse der Studie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  1. Das Spannungsfeld der globalen, nationalen und bündnispolitischen Bestimmungsfaktoren schränkt die notwendige Anpassung an die Herausforderungen, Risiken und Gefahren im Internationalen System zu Beginn des 21. Jahrhunderts erheblich ein und erschwert deutlich einen Ausgleich der kurz-, mittel- und langfristigen Anforderungen des strategischen Umfelds.
  2. Durch die nationalen Vorbehalte (Kultur der militärischen Zurückhaltung, negativer Handlungsdruck der öffentlichen Meinung, Strategiedefizite der politischen Entscheidungsträger, Unterfinanzierung und ineffiziente Verwendung der Verteidigungsausgaben) wird die Neuausrichtung und Modernisierung der Bundeswehr signifikant beeinträchtigt, sodass die Relevanz der Bundeswehr sowohl als Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik als auch als Bündnisarmee für die Alliierten und Partner der Bundesrepublik Deutschland zunehmend schwindet.
  3. Die multilaterale Ebene wirkt zwar als Ausweichoption für den Entwicklungsprozess der Bundeswehr, sie stellt sich jedoch aufgrund verschiedener Widersprü­che zwischen den nationalen und bündnispolitischen Bestimmungsfaktoren so­wie zahlreicher bündnispolitischer Konfliktpotenziale auch als Stressfaktor für die Bundeswehr dar, der das Spannungsverhältnis zusätzlich ver­stärkt.
  4. Die Auflösung des Spannungsfelds der globalen, nationalen und bündnispolitischen Bestimmungsfaktoren ist von herausgehobener Bedeutung für die Effizienz und Nachhaltigkeit der deutschen Sicherheitspolitik insgesamt.

Die wesentliche Voraussetzung hierfür liegt weniger in institutionellen Neuerungen sondern primär in der ernsthaften Wahrnehmung der politischen Verantwortung für die Bundeswehr durch die Entscheidungsträger in der deutschen Bundesregierung und im Deutschen Bundestag. Angesichts der ausgeprägten Beständigkeit der aufgezeigten Wesensmerkmale der deutschen Sicherheitspolitik ist es jedoch fraglich, ob ein solch tiefgreifender Wandel durch die sicherheitspolitischen Entscheidungsträger kurz- oder mittelfristig eingeleitet und langfristig gestaltet werden wird. Die Bundeswehr kann daher auf absehbare Zeit im Rahmen ihres Entwicklungsprozesses nicht hinreichend die Maßnahmen umsetzen, die zur Wahrnehmung ihres politisch vorgegebenen Auftrages erforderlich und die von ihr als „Bündnisarmee im Einsatz“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu leisten sind. Die zukünftige Position und der Einfluss Deutschlands in Europa, in der EU und der NATO sowie im Interaktionsprozess der Staatenwelt werden davon abhängen, wie die deutsche Sicherheitspolitik diesem Missstand begegnet. Der Entwicklungsprozess der Bundeswehr wird hierbei, auf positive oder negative Weise, von entscheidender Bedeutung sein.

 

Erschienen im Peter Lang Verlag: Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2010. 364 S., zahlr. Tab. und Graf., Sicherheit in der multipolaren Welt Bd. 1, Herausgegeben von Michael Staack, ISBN 978-3-631-60107-5 geb.

Aus dem Inhalt: Der Übergang zu einer multipolaren Weltordnung – Die Kontinuität und Veränderung des globalen Kriegsgeschehens – Der Wandel der Operationsparameter in der Aufstandsbekämpfung – Die normativen Grundlagen der deutschen Sicherheitspolitik – Die Strategiefähigkeit der politischen Entscheidungsträger – Die deutschen Verteidigungsausgaben – Die Erweiterung des Einsatzspektrums von EU und NATO – Die Fähigkeitsentwicklung in EU und NATO – Das Verhältnis von EU und NATO.


 

ABSTRACT

The development process of the Bundeswehr at the beginning of the 21st century (Dr. Henrik Heidenkamp)

Change within the contradictory contexts of global, national and allegiance politics

At the beginning of the 21st century the Bundeswehr (German Federal Armed Forces) is undergoing a profound and on-going development process which takes place within a complex, multilayer framework whose elements affect all levels of this process. Since these determinants are subject to continuous change, the development process does not follow a linear path. Rather, it constantly adapts to the determining factors which can be subdivided into three categories: (1) global, (2) national, and (3) alliance determinants. This study seeks to find out how the global, national, and alliance determinants affect the development process of the Bundeswehr – its relevance and role as an instrument of German foreign and security policy, its conceptual foundations, its operational principles and organizational structure as well as its state of equipment and armament. This study applies a qualitative-empirical research approach. To put the change of armies like the Bundeswehr into context, this multilevel inductive analysis focuses on the framework of the development process, its elements and their impact on the development process itself.

The main findings of the study can be summarized as follows:

  1. The competing interests of global, national and alliance policies seriously constrain the necessary adaption to the challenges, risks, and dangers of the international system at the beginning of the 21st century. Thus, it makes finding a balance between short-, medium-, and long-term requirements of the strategic environment much more difficult.
  2. National constrains (a culture of military restraint, negative pressure of public opinion, strategic deficits of political opinion-makers, the under financing and inefficient use of the defense budget) significantly affect the realignment and modernization of the Bundeswehr. This is why the relevance of the Bundeswehr as an instrument of German foreign and security policy as well as its importance as a coalition army for German allies and partners continues to decrease.
  3. Although the multilateral level is an evasive option for the development process of the Bundeswehr, it also puts additional pressure on the German army because it reinforces the tensions due to various conflicts between the national and alliance interests as well as because of several potential conflicts contained in alliance policies.
  4. Dissolving the tension between global, national and alliance-policy-related factors is crucial for the efficiency and sustainability of German security policy as a whole.

Even more important than the reform of the institutional structure is the serious exercise of political accountability for the Bundeswehr transformation by decision-makers in the German government and parliament. However, in light of the distinct and consistent nature of these characteristics of German security policy, it is questionable whether such a profound change will be initiated and carried out in the short- or medium-term by security policy decision makers. This is why the Bundeswehr will not be able to sufficiently carry out the measures necessary for carrying out its political mandate and which are required from a “coalition army in action” in the 21st century while undergoing the development process described above. Germany’s future role and influence in Europe, the EU and NATO as well as the interaction process of nation-states will depend on how German security policy deals with this impediment. For better or worse, the development process of the Bundeswehr will be of vital importance.

 

Published by Peter Lang: Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Vienna, 2010. 264 pages, numerous charts and indexes, Sicherheit in der multipolaren Welt Bd. 1, published by Michael Staack, ISBN 978-3-631-60107-5 geb.

From the content: Transition to a multipolar world order – change and consistency in global warfare – change of operational conduct in counter insurgency – normative fundamentals of German security policy – strategy making capability of political decision-makers – German defense expenditures – extended operation spectrum of EU and NATO – capability development of EU and NATO – relationship between EU and NATO

HSU

Letzte Änderung: 14. November 2017