China-Expertise in der Bundesrepublik. Eine Politik- und Wissensgeschichte des deutsch-chinesischen Verhältnisses (1960er-1980er Jahre)

Stefan Messingschlager, M.A.

Dissertation

Das Dissertationsvorhaben untersucht am Beispiel des Verhältnisses zwischen Bundesrepublik und Volksrepublik China die Rolle von China-Kennern und China-Experten in der Umbruchphase westlich-chinesischer Beziehungen in den langen 1970er Jahren.

Die diplomatische Annäherung zwischen der VR China und den westlichen Staaten ab Mitte der 1960er Jahre wurde bereits in der älteren Forschung der 1980er und 1990er Jahre überzeugend als Ergebnis einer strategischen Außenpolitik im Kalten Krieg interpretiert. Diese Perspektive auf internationale Beziehungen als Arena staatlicher Interessenspolitik blieb allerdings einseitig auf das Bild einer dominant politisch gesteuerten Transformation fixiert. So wichtig die Rolle führender Politiker wie Henry Kissinger oder Gerhard Schröder zweifellos war, so wenig geht dieser Prozess jedoch in einem politisch-diplomatischen Projekt auf. Der Ansatz meines Vorhabens ist es deshalb, die Bedeutung von China-Kennern und China-Experten – hier verstanden als mit den chinesischen Verhältnissen vertraute Publizisten, Wissenschaftler, Intellektuelle – für den Aufbau und Ausbau der inter- und transnationalen Beziehungen zu untersuchen. Anhand dieser einflussreichen Akteure jenseits der politischen Entscheidungsebene wird es möglich, die Dynamik, Vielgestaltigkeit und Komplexität der Umbruchphase in den chinesisch-westlichen Beziehungen während der langen 1970er Jahre besser in den Blick zu bekommen.

Das Ziel der Untersuchung ist dabei ein doppeltes: Zum einen soll nachvollzogen werden, welche Rolle ausgewählten China-Kennern wie Klaus Mehnert und China-Experten aus Disziplinen wie der Sino-Politologie, Sinologie oder Rechtwissenschaft beim Aufbau der Beziehungen in den Bereichen Diplomatie, Politik, Wirtschaft und Kultur zukam und inwieweit sie dabei zu Mittler-Figuren avancierten. Zum anderen soll herausgearbeitet werden, wie parallel dazu in der bundesdeutschen Politik, in staatlichen Institutionen oder der Wirtschaft die Notwendigkeit einer eigenen China-Expertise erkannt und diese strukturell aufgebaut wurde. Die langen 1970er Jahre erscheinen dabei, so die übergreifende Hypothese des Dissertationsvorhabens, als zentrale Umbruchphase, in der die Fundamente für einen grundsätzlichen Wandel in der (west-)deutschen Wahrnehmung Chinas gelegt wurde, der bis in die Gegenwart reicht. So wurde in den 1970er Jahren mit Unterstützung prominenter China-Kenner und einschlägig ausgewiesener China-Experten nicht nur das Fundament für eine Wiederbegründung stabiler diplomatischer Beziehungen gelegt. Auch jenseits der offiziellen Staatsbeziehungen nahmen deutsche China-Experten oftmals eine entscheidende Rolle ein: Sie agierten im Austausch mit der chinesischen Seite als Vermittler für verschiedenste Bereiche, starteten Initiativen zur Wiederbelebung der Kulturbeziehungen oder wurden zu Unterhändler im Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Gleichzeitig machte die ubiquitäre Rolle dieser Akteure augenfällig, dass in der Bundesrepublik der 1970er Jahre China-Expertise in weiten Bereichen von Staat und Wirtschaft kaum vorhanden, aber dringend vonnöten war. Das Dissertationsvorhaben richtet darum auch den Blick auf die Entstehung außeruniversitärer Institutionen und den Aufbau einer systemischen China-Expertise, was schließlich den Bedeutungsverlust langjährig prägender Laien und Autodidakten, wie etwa des intellektuellen China-Kenners Klaus Mehnert, besiegelte.

HSU

Letzte Änderung: 14. März 2023