Mit dem Ziel ein und derselben Verteidigung? Das Militärische in den deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1963 und 1974

Kai Peter Schönfeld, M.A. [email protected]

Promotionsvorhaben, Helmut-Schmidt-Universität

Betreuer: PD Dr. Michael Jonas

Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 sind ein viel beachtetes Themenfeld – sowohl in der historischen Forschung als auch in den Erinnerungskulturen Deutschlands und Frankreichs. Als Markstein dieser Entwicklung hat der deutsch-französische Freundschaftsvertrag vom 22. Januar 1963, der sogenannte Élysée-Vertrag, in diesem Kontext besonderes Interesse geweckt. Seine Auswirkungen auf die Gestaltung der politischen, wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn am Rhein wurden während der letzten Jahrzehnte von einer Vielzahl historischer Studien, Kolloquien und dazugehöriger Tagungsbände untersucht.

Dennoch gibt es einen Teilaspekt des deutsch-französischen Verhältnisses, der nur unzureichend ausgeleuchtet worden ist. Die Verfasser haben seinerzeit den Programmpunkt Verteidigung an der zweiten Stelle des Elysée-Vertragstextes festgeschrieben, im Anschluss an die Auswärtigen Angelegenheiten. Gerade vor dem Hintergrund der höchst volatilen Gesamtsituation der 1960er Jahre kam dem Aspekt der gemeinsamen Verteidigung für de Gaulle und Adenauer eine zentrale Rolle zu. Ebendiese Verteidigungsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind bis dato zwar hier und dort von Historikern mitbetrachtet worden. Eigentlicher Gegenstand einer empirischen Studie indessen sind sie bisher nicht gewesen. Die Dissertation beabsichtigt, dieses Desiderat zu beheben und das Militärische in den deutsch-französischen Beziehungen zwischen der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 1963 und dem doppelten Übergang Brandt-Schmidt sowie Pompidou-Giscard d’Estaing im Frühjahr 1974 ins Zentrum einer systematischen Untersuchung zu stellen.

Die Dissertation rekurriert geschichtstheoretisch und methodisch auf die jüngsten Ansätze der Geschichte Internationaler Beziehungen und der Militärgeschichte. Insbesondere die französischen Ausprägungen der Histoire des relations internationales sowie des Renouveau de l’histoire militaire, die um gesellschaftliche Tiefenstrukturen, außenpolitische Entscheidungsprozesse und die Verknüpfung von äußerem staatlichen Handeln und innergesellschaftlicher Interessendefinition kreisen, schlagen sich in Komposition und Fragestellung der Dissertation nieder.

Konkret soll auf drei Betrachtungsebenen nach Begriff, Ort und Funktion des Militärischen im deutsch-französischen Bilateralismus gefahndet werden. Die erste Betrachtungsebene nimmt die Überbegriffe Sicherheitspolitik, Verteidigungskonzeption und Strategie in den Blick. Hernach folgt die Betrachtungebene Rüstung, Bewaffnung und Wehrforschung. Schließlich wird die Truppenebene unter den Schlagworten Streitkräfte, Einsatz und Manöver untersucht. Damit verknüpft die Dissertation die beiden Teildisziplinen Geschichte Internationaler Beziehungen und Militärgeschichte, indem nach dem Militärischen im Politischen gefragt wird, aber auch umgekehrt das Politische als bestimmender Faktor des Militärischen Geltung erfährt. Es soll untersucht werden, welche zivilen und militärischen Akteure in Deutschland und Frankreich an der Verteidigungskooperation mitwirkten, welche Gremien die Federführung innehatten, wie die Kooperation auf der Arbeitsebene genau funktionierte, welche Chancen und Grenzen sich links und rechts des Rheins auftaten, wie verschiedene militärische Traditionen, Mentalitäten und Interessen aufeinanderstießen und wieviel sich von der sicherheitspolitischen und konzeptionellen Planung konkret auf der Ebene der Streitkräfte niederschlug. Schließlich ist zu untersuchen, ob personelle Wechsel an den Regierungsspitzen und auf der Beamten- und Generalstabsebene Wandel nach sich zogen und ob sich ein Erfolg oder Misserfolg der deutsch-französischen Verteidigungskooperation bemessen lässt. Waren die beteiligten politischen Akteure tatsächlich willens und in der Lage, militärpolitisch zu kooperieren? Vermochten die Militärs beider Nationen dies in Form konkreter Operationsplanungen und Projekte auszuführen? Welche Rolle spielte das Militärische im deutsch-französischen Bilateralismus in der Bilanz?

Die Dissertation stützt sich auf umfangreiche Quellenstudien im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin und in den Archives diplomatiques in La Courneuve, im Militärarchiv Freiburg und in dessen französischem Pendant in Vincennes.

HSU

Letzte Änderung: 2. Juni 2021