Agentensystem zur dezentralen Steuerung der Energieverteilung

Durchgängige Anwendung agentenbasierter Steuerungslösungen für hybride Energiesysteme und Netze – Projekt Agent.HyGrid

Im Rahmen des Vorhabens „Agent.HyGrid“ (Projektlaufzeit Oktober 2015 bis September 2018 – gemeinsame Projekthomepage siehe www.agent-hygrid.net Externer Link: www.agent-hygrid.net (http://www.agent-hygrid.net) Link wird in einem neuen Fenster geöffnet) sollen die benötigten Charakteristika und die Anwendbarkeit von vereinheitlichten, autonomen, dezentral operierenden und in Energiesystemen verankerten Software-Systemen untersucht werden. Konform zu gängigen Definitionen von Software-Agenten [1], jedoch zugeschnitten auf den Anwendungsfall der Energieversorgung, wird dieser systemische Ansatz im weiteren Verlauf als „Energie-Agent“ bezeichnet, dessen Kern – also der einzelne Agent – wird allgemein wie folgt definiert und im Rahmen dieses Vorhabens untersucht:

Ein Energie-Agent ist ein spezialisiertes autonomes Softwaresystem, welches informations­technologisch ein einzelnes technisches Energiewandlungssystem repräsentiert und dabei die energetischen Freiheitsgrade in Bezug auf Energieerzeugung, -verbrauch und -speicherung bewirtschaftet. Dabei ist der Energie-Agent sowie das technische System gleichzeitig Bestandteil eines oder mehrerer Energieverteilungsnetze und in der Lage sowohl innerhalb dieser Netzwerke, als auch mit externen Akteuren zu interagieren und zu kommunizieren.

Dem Ansatz und der Notwendigkeit eines vereinheitlichten Energie-Agenten liegen dabei im Wesentlichen die folgenden zwei Defizite aktueller Lösungen zugrunde, die durch dieses Vorhaben grundsätzlich verbessert werden sollen:
Harmonisiertes Gesamtsystem für Simulation und Realbetrieb

Die zur Steuerung der heutigen Energieversorgung eingesetzten, überwiegend automatisierungs­technischen Systeme sind weitestgehend heterogen bzw. proprietär. In der Konsequenz müssen demnach weitreichende Standards entwickelt und verabschiedet werden, deren konkrete Umsetzung, bei zum Teil noch unklaren Vorgaben, sich noch über Jahre hinziehen und somit das Vorankommen der Energiewende signifikant verlangsamen können. Ein im Gegensatz dazu homogen entwickeltes und angewendetes agentenbasiertes System, welches sowohl in Simulationen als auch in realen Anwendungen eingesetzt werden kann, bietet hier das Potential schnellerer und nachhaltiger Entwicklungen sowie eine langfristig erhöhte Investitionssicherheit für Anbieter und Endkunden durch Vermeidung von Systembrüchen und Vereinheitlichung der Architekturen.
Framework für hybride Energieversorgungsstrukturen

Im Gegensatz zu vielen Ansätzen der E-Energy Projekte soll in diesem Vorhaben der Fokus nicht allein auf die elektrische Stromversorgung und deren Verteilnetze gelegt werden. Vielmehr sollen hybride Energieversorgungsstrukturen, die insbesondere auch die Gas- und Wärmeversorgung berücksichtigen können, adressiert und untersucht werden. Auf Grundlage der thermodynamischen Hauptsätze und unter Einbeziehung aktueller Kommunikationsstandards soll unter anderem ein generelles, auf verschiedene Energiesysteme anwendbares Framework und Referenzdatenmodell entwickelt werden, das den Energie-Agenten sowohl als Basis für systeminterne Prozesse, aber auch als Basis für die Kommunikation dienen soll. Die aus diesen beiden Ansätzen resultierenden Möglichkeiten der vereinheitlichten, domänen­übergreifenden Interaktionen zwischen verschiedenartigen Energieverteilungssystemen kann dabei mittelfristig als Grundlage weiterer Forschungsvorhaben dienen, sollen jedoch in diesem Vorhaben nur anhand überschaubarer Praxisszenarien und mit Hilfe agentenbasierter Simulationen validiert werden. Fragen zu notwendigen Richtlinien und möglichen Verhaltensweisen der involvierten Agenten sollen dabei in grundsätzlicher Form behandelt werden und vor allem Raum für weitere Entwicklung bieten.
Das primäre Ziel dieses Vorhabens ist die Erstellung eines Referenz-Entwicklungsprozesses für einheitlich definierte, jedoch individuell anpass­bare Energie-Agenten. Analog zu Vorgehensmodellen aus der Software– oder Automatisierungstechnik, wie z.B. dem V-Modell oder dem Rapid Control Prototyping, soll im Rahmen des Vorhabens der Entwicklungsprozess eines Energie-Agenten systematisch untersucht und definiert werden. Im Fokus liegen dabei unter anderem die Projekt­schritte (i) Spezifizierung und Modellierung, (ii) Implementierung, (iii) Simulation, (iv) Prüfstand-Anwendungen (Testbed) und (v) der Einsatz von Energie-Agenten in realen Systemen vor Ort. Dabei sollen insbesondere die Unterschiede in den zeitlichen Anforderungen von Simulationen und realen Systemen untersucht, herausgestellt und möglichst geschlossen werden, so dass das Konzept und die Implementierung von Energie-Agenten in allen Schritten des Entwicklungsprozesses einheitlich angewendet werden kann.
In einer interdisziplinären Herangehensweise und unter Einbeziehung von Praxispartnern, soll die technische Machbarkeit, die Stabilität und die praktische Umsetzbarkeit des innovativen und neuen Ansatzes des Energie-Agenten untersucht werden. Als wesentliche Vorteile dieses Ansatzes werden vor allem gesehen, dass: (i) Durch die Schaffung und Anwendung eines einheitlichen Ansatzes weitere flexible Erzeugungs-, Verbrauchs- und Speichereinheiten in eine marktorientierte Bewirtschaftung einbezogen werden können und somit die technischen Freiheitsgrade zur Stabilisierung der Energieversorgung vergrößert werden können. (ii) Die Einbeziehung von informations- und automatisierungstechnischem Wissen die notwendigen Synergien schafft, damit Softwarekomponenten von Simulationen auf reale, Vor-Ort verbaute Systeme übertragen werden können. Die Entwicklung eines universell einsetzbaren Energie-Agenten für Simulation und Realsystem kann somit die Grundlage für die Entwicklung realitätsnaher Labore zur Modelluntersuchung zukünftiger Energieversorgungsszenarien bilden. (iii) Das Paradigma des Software-Agenten einen nahezu beliebigen Skalierungs- und Detaillierungsgrad für Simulationen und Steuerungen bietet, was den möglichen, realitätsnahen Laborcharakter auch für sehr umfangreiche Systeme unterstreicht.
Folgende Einzelziele werden im Rahmen des Vorhabens verfolgt:

1. Definition, Formalisierung und Implementierung eines einheitlichen Energie-Agenten auf Grundlage eines im Rahmen des Vorhabens zu erarbeitenden Referenz-Entwicklungsprozesses für hybride Energiesysteme. 2. Nachweis der Umsetzbarkeit sowie Untersuchung der Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit des resultierenden Gesamtsystems durch agentenbasierte Simulationen und Testbed­anwendungen sowie der realen Anwendung in einem ausgewählten Verteilnetzbereich der Mainova AG.
3. Nachweis der technischen Vorteilhaftigkeit der Methodik anhand ausgewählter, allgemeingültiger Szenarien sowie einem systematischen Vergleich zwischen simuliertem und realem Verhalten.
Bearbeitet durch: Dipl.-Ing. Tobias LinnenbergDipl.-Ing. Erik Wassermann, M.Sc. Sebastian Törsleff

Marktbasiertes Agentensystem zur dezentralen Netz und Leistungsregelung – Projekt DEMAPOS

Bedingt durch eine rasante Preissteigerung im Bereich der fossilen Energieträger, die durch den Klimawandel befürchteten Umwälzungen sowie die ablehnende Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber der Nuklearenergie hat die Bundesregierung sich mit dem „Energiekonzept 2050“ ambitionierte Ziele für die Stromerzeugung der Zukunft gesteckt. Diese umfassen einen Anteil erneuerbarer Energien von 80{3728c0ddcf5026c65bc0b4e995c837d09025c3e7fa253cea254631dfe46bf841} der Stromerzeugung im Jahr 2050 sowie eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 95{3728c0ddcf5026c65bc0b4e995c837d09025c3e7fa253cea254631dfe46bf841} im selben Zeitraum.

Da die Umwandlung erneuerbarer Energieträger wie Wind, Wasser oder Sonne in elektrische Energie stets externen Faktoren unterworfen ist, wird das elektrische Netz dabei durch eine unregelmäßige und schwer vorherzusehende Einspeisung belastet. Die Speicherung der so erzeugten elektrischen Energie ist in absehbarer Zeit nicht wirtschaftlich umsetzbar. Daher werden zurzeit unterschiedliche Konzepte verfolgt um Energieerzeugung und –Verbrauch in Einklang zu bringen. Das an der HSU entwickelte DEcentralizedMArketbasedPOwercontrollSystem (DEMAPOS) verfolgt dabei einen marktbasierten Ansatz, welcher es Energieerzeugern und Verbrauchern erlaubt auf lokalen Spotmärkten Energie zu handeln. Der Handel erfolgt dabei vollkommen automatisiert auf Basis sogenannter Softwareagenten. Eine hierarchische Marktstruktur minimiert die notwendige Kommunikation und erlaubt somit Zyklenzeiten von unter 0,5 Sekunden pro Verhandlungsrunde.Energie wird quasilive gehandelt und eine Entkopplung von den heutigen, starren Energiemärkten wird somit möglich. Um etwaige Probleme frühzeitig zu identifizieren überwachen spezialisierte Agenten den unterlagerten Netzbereich. Werden Abweichungen von den gesetzlich vorgegebenen Gütekriterien identifiziert interveniert das System mittels frequenzstabilisierender Maßnahmen.

DEMAPOS soll als Basis für weitere Forschung und Entwicklung dienen. Es wurde stringent nach den Kriterien von O-MaSEin JADE entwickelt und umgesetzt. Die strikte Trennung von Testbed und Steuerung, sowie die gewählte Kommunikation mittels Webservices erlaubt eine einfache Implementierung des Systems in realen Umgebungen sowie den schnellen Austausch einzelner Komponenten.

Die folgenden Grafiken verdeutlichen den Grundsätzlichen Aufbau des Systems:

Agentensystem_Linnenberg_Bild1

Auf lokaler Ebene kommunizieren „Prosumer-Agenten“ mit den angeschlossenen Erzeugern- (in grünen Kreisen) Speichern- (blaue Kreise) und Verbrauchern- (rote Kreise) elektrischer Energie und übermitteln ihre Parameter an einen „Housekeeper-Agenten“. Dieser versucht zunächst einen lokalen Ausgleich zu erzielen. Die überschüssige- bzw. fehlende Energie verkauft bzw. erwirbt er dann auf einem lokalen Marktplatz. Siehe hierzu die folgende Illustration:

Agentensystem_Linnenberg_Bild2

 

In dieser sind neben den Housekeepern auch die Märkte sowie deren hierarchische Struktur erkennbar. Die Struktur orientiert sich dabei an den Netzebenen, wie sie im heutigen Stromnetz üblich sind. Die Icons „Männchen mit Chart-Kuve“ und „Mann auf Drahtseil“ repräsentieren den „Oracle-Agenten“ und den „Balancing-Agenten“. Diese bemühen sich um die Stabilität des Netzes. Die Geldscheine und Münzen repräsentieren ein grundlegendes Abrechnugnssystem, welches bei der Auswertung der Vorgänge im Netz unterstützt. Ist es auf einem lokalen Marktplatz nicht möglich alle Housekeeper zu befriedigen werden die überschüssigen, bzw. fehlenden Energiemengen aggregiert und durch einen „Ambassador-Agenten“ auf der nächst höheren Marktebene gehandelt.

Bearbeitet durch: Dipl.-Ing. Tobias Linnenberg, Dipl.-Ing. Erik Wassermann, M.Sc. Sebastian Törsleff

HSU

Letzte Änderung: 21. November 2017