New Visual Hermeneutics

Obwohl die Zahl der WissenschaftlerInnen, die im Feld der Digital Humanities arbeiten, in den letzten Jahren sehr deutlich gestiegen ist, existieren dennoch zwei wichtige Forschungsdesiderate:

Es hat sich forschungspragmatisch noch keine umfassende Best Practice ausgebildet.
Es fehlt eine einheitliche, grundlagentheoretische Fundierung des gesamten Forschungsprozesses in den Digital Humanities.
Am Kompetenzzentrum DH arbeiten wir an einem Ansatz, der beide Forschungslücken schließen soll: der New Visual Hermeneutics. Er greift auf bekannte, aber häufig parzellierte Ansätze im Feld der Digital Humanities und der Computational Social Science zurück und verbindet sie zu einem kohärenten holistischen Forschungsprogramm, das auch die Ausgestaltung der Forschungsinfrastruktur an epistemologische Überlegungen zurückbindet. Der Ansatz der New Visual Hermeneutics greift dafür grundlegende epistemologische Einsichten der Technikphilosophie von Don Ihde auf. Für die New Visual Hermeneutics ist insbesondere sein empirischer Ansatz einer (experimentellen) Phänomenologie und visuellen Hermeneutik als eine Erkenntnistheorie, die er als „Postphenomenology“ bezeichnet, von Bedeutung. Denn mit Ihde können die unterschiedlichen Schritte im Arbeitsprozess der Digital Humanities erkenntnistheoretisch als unterschiedliche Betonungen von Phänomenologie und Hermeneutik verstanden werden.

Die New Visual Hermeneutics ist somit ein methodischer Ansatz für die Generierung von Wissen mittels Analysen großer, unstrukturierter Textdaten mit Hilfe von Information Visualization. Dieser Fokus ist zentral, da in den Digital Humanities die Position vertreten wird, dass aufgrund der Größe der analysierten Daten das Verstehen der Daten und damit Wissensgenerierung nur noch durch ihre Visualisierung möglich ist. Visualisierungen bauen aber konstitutiv auf vorgängige Arbeit auf und ihre Aussagekraft wird durch die algorithmischen Analysen von Daten bestimmt. Deshalb liegt der Fokus der New Visual Hermeneutics auf einer integrativen Betrachtung des gesamten Prozesses der Forschung, der zu einer Visualisierung führt.

Eine dynamischere und differenziertere Perspektive auf die Forschungspipeline, so wie sie im Rahmen der New Visual Hermeneutics konzipiert wird, stellt die folgende Abbildung dar, die auf die Verschränkung von Phänomenologie und Hermeneutik verweist und Interaktionen und iterative Rückkoppelungen inkludiert.

New visual hermeneutics

Durch die Darstellung der New Visual Hermeneutics wird auch deutlich, dass die Visualisierung und anschließende Interpretation wieder neue Fragestellungen aufwirft und den ‚Kreislauf‘ neu initiieren kann, d.h. eine sich ständig wiederholende Dekonstruktion (Analyse) der Daten von der algorithmenbasierten Analyse und einer Rekonstruktion (Synthese) je nach Fragestellung und Ziel in der Visualisierung der Daten stattfindet.

Zusammen mit unserem Projektpartner aus dem Feld der Automatischen Sprachverarbeitung, Prof. Dr. Gerhard Heyer von der Universität Leipzig, arbeiten wir daran, den theoretischen Ansatz in eine Forschungsinfrastruktur zu überführen. Die New Visual Hermeneutics als Forschungsinfrastruktur liefert die technischen Tools, die in ihrer Interaktivität mit dem User und ihrer technischen Ausgestaltung der oben skizzierten Iterationen, Rekursivitäten und Interdependenzen zwischen den einzelnen Phasen der Forschungspipeline berücksichtigen

HSU

Letzte Änderung: 13. November 2017